So fühlt es sich an, im Ramadan zu fasten

Ramadan ist vorüber – rund 17 Stunden täglich haben praktizierende Muslime in der Schweiz gefastet. Hat es auch unsere Redaktorin geschafft?

 

Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang fasten – dieser Herausforderung haben sich praktizierende Muslime während des Fastenmonats Ramadan gestellt. In der Schweiz bedeutete dies rund 17 Stunden täglich auf Nahrungsmittel, Getränke, Sex oder böse Worte zu verzichten. Stattdessen sollten die Fastenden bewusster leben, sich in Selbstbeherrschung üben und ihren Mitmenschen Gutes tun. Dieser Herausforderung hat sich auch unsere Redaktorin gestellt – ein Tagebuch.

Tag 1:

Der diesjährige Ramadan beginnt am 26. Mai, einem Samstag. Praktisch, so kann ich ausschlafen und bin nicht allzu müde vom «Suhur» von letzter Nacht (so heisst die Mahlzeit, die man vor der Morgendämmerung noch einnehmen kann).

Mein Ziel ist es, heute produktiv zu sein! Ich putze die Wohnung, erledige Papierkram, mache die Wäsche. Gegen Mittag meldet sich der erste Hunger, viel unangenehmer ist aber mein trockener Mund. Neben Hunger und Durst habe ich vor allem eins: viel Zeit. Ist das wirklich die Zeit, die sonst fürs Einkaufen, Zubereiten und Verspeisen von Essen draufgeht?

Als am Abend um 21.12 Uhr die Sonne untergeht, darf ich endlich das Fasten brechen – traditionell mit einer Dattel und einem Glas Wasser oder Milch. Ich spüre die kalte Milch meinen Rachen hinunterfliessen und möchte am liebsten darin baden. Danach würde ich mich zwar gern auf meine mit Käse überbackenen Nachos stürzen, doch mein Magen ist schon zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Die verdrückte Portion fällt deshalb eher klein aus.

Tag 2:

Zweiter Ramadan-Tag. Sonntag. Das Aufstehen zum «Suhur» ist mir schwergefallen, doch zum Glück konnte ich auch heute ausschlafen. Ich treffe mich später mit einer Freundin, allerdings nicht wie üblich in einem Café, sondern bei ihr zu Hause. Als ich uns beim Lästern ertappe, schaltet sich kurz das schlechte Gewissen ein. Lästern soll man nicht. Zumindest nicht an Ramadan. Doch wir sind schon zu tief drin, um noch aufzuhören.

Danach besuche ich meine Eltern am anderen Ende der Stadt. Ich bringe meiner Mutter einen Blumenstrauss – Ramadan ist ja die Zeit, in der man Gutes tun und nett sein soll. Blumen sind gut und nett. Und vielleicht machen sie das Lästern wett.

Tag 3:

Das erste Mal fasten im Büro. Viele Fragen: Hast du keinen Hunger oder Durst? Auch kein Wasser? Ist das nicht anstrengend? Gell, du musst jetzt wahrscheinlich auch nicht aufs WC, oder? Ich antworte, so gut es geht: Nein, ich habe noch keinen Hunger oder Durst (es ist erst acht). Nein, auch kein Wasser. Ja, gegen Nachmittag wird es anstrengend. Und doch, ich muss trotzdem aufs WC, denn ich bin immer noch ein Mensch.

Gegen 10 Uhr holt sich Social-Media-Mann Lorenz einen Snack aus der Kantine. Er fragt, ob er mir was mitbringen soll. «Danke, aber ich faste.» Während der Mittagspause ist ausnahmsweise eine Sitzung angesagt. Meine Mitarbeiter holen sich «Angus Beef Burger» aus der Kantine. Hätte ich Wasser im Mund, würde es spätestens jetzt darin zusammenlaufen. Trotzdem bleibe ich stark und gönne mir später zum «Iftar» (Fastenbrechen am Abend) einen Burger von McDonald’s – der bei meinem Appetit mindestens so gut wie der «Angus Burger» schmeckt.

Tag 4:

Ich lese mir die Leser-Kommentare zur Ankündigung meiner Ramadan-Challenge durch. Es sind viele positive Kommentare darunter. Einige Leser beklagen sich jedoch, Muslime seien während des Fastens nicht leistungsfähig, mürrisch oder gar «aggressiv». Dass ich mürrisch oder aggressiv sei, kann ich an mir nicht beobachten. Doch was meinen meine Mitarbeiter? Ich sei etwas ruhiger als sonst, meint Messi. Alpi gibt ihm recht, aber eigentlich sei ich «genau gliich».

Dass ich weniger spreche, kann schon sein. Wahrscheinlich spare ich mir einfach das bisschen Spucke auf, das ich noch im Mund habe. An meiner Leistungsfähigkeit bemerke ich keinen Unterschied. Die Trägheit, die ich normalerweise nach dem Mittagessen verspüre, ist einem leichten Ich-laufe-auf-Sparflammen-Modus-Gefühl gewichen, das jetzt am Nachmittag aufkommt. Also nicht wirklich ein Unterschied.

Tag 5:

Der dritte Fasten-Tag auf der Arbeit. Das Hungergefühl ist fast weg. Während die anderen in die Mittagspause verschwinden, gönne ich mir ein Schläfchen im Ruheraum. Danach fühle ich mich ausgeruht und wach. Am Abend organisieren muslimische Studenten an der Uni Bern ein gemeinsames Fastenbrechen, bei dem ich reinschauen möchte.

Rund eine Stunde zuvor zeigt ein Besuch auf der Toilette: Ich habe meine Tage gekriegt. Ich breche mein Fasten ab, denn Frauen sind während der Periode von der Fastenpflicht befreit. Den Ramadan-Apéro lasse ich mir trotzdem nicht entgehen.

Tag 6:

Nach rund einer Woche Periode-Pause nehme ich das Fasten wieder auf. Obwohl ich während der Mens normal essen konnte, hatte ich tagsüber nicht wirklich Hunger. Der erneute Beginn des Fastens fällt mir deshalb nicht allzu schwer.

Doch wie hat mein Körper aufs Fasten reagiert? Ich stehe auf die Waage – sie zeigt zwei Kilo weniger an. Trotzdem: Fasten im Ramadan ist keine Diät. Viele Muslime nehmen während des Ramadans sogar noch zu, weil sie abends richtig zulangen.

Tag 7:

Zum Ramadan gehört auch Gutes tun. Ich hole mir Verstärkung von meiner Freundin Yasemin und wir überlegen, Geld an Bedürftige am Bahnhof zu verteilen. «Und was, wenn die sich Drogen davon kaufen, haben wir dann immer noch was ‹Gutes› getan?», fragt Yasemin. Wir beschliessen, auf mehr Eigeninitiative und somit Fresspäckli zu setzen, die wir mit Weggli, Wasser, Schoggi und Bananen füllen.

Es ist ein heisser Tag. Wir laufen durch den Bahnhof, die Fresspäckli im Gepäck. Keine Bettler in Sicht. Niemand, der nach Geld fragt. Niemand, der sich für unsere Päckli und die guten Taten darin interessiert. Einige Male sind wir uns auch nicht einig. «Da sitzt einer», sagt Yasemin und meint einen Typen im Schmuddellook. «Nein, der hat nur komische Kleider an, geh weiter», sage ich durch die Zähne. Nach anderthalb Stunden werden wir müde und beschliessen, unsere Päckli einfach an irgendwelche Passanten zu verteilen. Die freuen sich. Gute Tat vollbracht!

Mein angekündigter Selbsttest ist nach sieben Tagen Fasten bereits vorbei. Meine Perioden-Pause mit eingeschlossen, befinden wir uns jetzt ungefähr in der Mitte des Fastenmonats. Mich hat aber der Flow gepackt – ich faste noch rund eine Woche weiter.

Fazit:

Ramadan war anstrengend. Vor allem am Anfang. Aber es war auch ein bisschen wie Ferien. Ferien vom Alltag. Du bist zwar am selben Ort wie immer. Du tust dieselben Dinge wie immer. Und doch tickst du anders.

Ich habe hier von meinen persönlichen Erfahrungen berichtet. Und so verschieden wie Menschen sind, so verschieden ist auch ihr Fasten. Manchen fällt das Nicht-Essen schwer. Andere haben Mühe, tagsüber aufs Trinken zu verzichten. Lästertanten werden beim Nicht-Lästern auf die Probe gestellt. Und wiederum anderen wird es schwerfallen, sich mitten in der Nacht aus dem Bett zu quälen oder die viele Zeit nicht mit Netflix zu überbrücken. Irgendwie ist es aber auch schön, all diese Herausforderungen anzunehmen (man ist nicht allein), und sich abends mit einem leckeren Essen zu belohnen, denn plötzlich fällt der ganze Druck des Tages von einem ab.

Ein bisschen Philosophie

Ich habe das Fasten für mich als eine Art Pyramide interpretiert. Ganz unten steht der Verzicht von Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken und Sex (keine Sorge, nur tagsüber). Je weiter oben, desto subtiler werden die Aufgaben. Gut sein. Geduldig sein. Grosszügig. All diese Dinge könnte man sich eigentlich auch so vornehmen, ohne das ganze Gehungere. Nur erinnert einen ein knurrender Magen eben schon ständig daran, dass man sich in einem Zustand des Fastens befindet. Das Ziel wäre es wahrscheinlich, die Pyramide so weit wie möglich hinaufzuklettern. Vorerst bin ich aber einfach nur froh, mich wieder ein wenig fallen zu lassen.

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